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Schauen wir mal – Einblicke und Einsichten zur zukünftigen Entwicklung der Stadt Kleve - Teil 2

Gegenwart

Wenn Sie diesen ganz normalen Tag in Kleve im Jahre 2050 mit Ihrem Alltag in der Gegenwart vergleichen, so zeigen sich doch deutliche Unterschiede. Das eine wird Sie vielleicht amüsieren, das andere wohlmöglich erschrecken, einiges wird sie weniger tangieren, doch hinter dieser eher harmlosen Schilderung eines ganz normale Tages in 33 Jahren stecken Entwicklungen, die sich gegenwärtig schon deutlich abzeichnen oder bereits in vollem Gange sind.

Demografischer Wandel

SeniorenpaarAls erster Punkt zu benennen ist der demografische Wandel, der sich mit Schlagworten wie Schrumpfung, Alterung und Internationalisierung beschreiben lässt. Kleve ist von diesen Phänomenen unterschiedlich stark betroffen. Betrachtet man zunächst einmal das Phänomen „Schrumpfung, und glaubt man z.B. den Prognosedaten der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahre 2015, so gehört der Kreis Kleve zu den wenigen Regionen in Deutschland, für die kaum Veränderungen bei der Bevölkerungszahl prognostiziert werden. Regional betrachtet könnte die Stadt Kleve sogar zu den Gewinnern gehören, die über ein gesundes Bevölkerungswachstum im Vergleich zu Nachbarkommunen verfügt. Eigene erhobene Daten im Zuge der Neuaufstellung zum Flächennutzungsplan für die Stadt Kleve belegen diese Annahme.

Betroffen ist Kleve aber von dem Phänomen der alternden Gesellschaft. Hier ist davon auszugehen, dass die Alterspyramide sich in Kleve ähnlich darstellt, wie in anderen Städten und Regionen in Deutschland. Aufbrechenden Familienverbänden und einer älter werdenden Bevölkerung in Kleve können neue Wohnkonzepte und Formen nachbarschaftlichen Zusammenlebens entgegengestellt werden. Mehrgenerationenprojekte in zentraler Lage werden in Kleve in Zukunft auf dem Vormarsch sein.

Bezüglich der Internationalisierung der Stadtgesellschaft wird sich die Entwicklung mit der Manifestierung der Hochschule konsolidieren. Es ist nicht zu erwarten, dass Kleve unverhältnismäßig stark von dieser Tendenz betroffen sein wird, aber das Phänomen ist gerade in jüngster Zeit gut zu beobachten. Die Stadtgesellschaft wird zunehmend ergänzt durch Menschen mit Migrationshintergrund. Die internationale Ausrichtung der Hochschule RheinWaal, und damit einhergehend der großen Zahl an Studenten auch aus Nicht-EU-Ländern, verstärkt diese Tendenz. „Et wörd ömmer bönter“ war nicht ohne Grund das Motto der Karnevalsgesellschaft  Brejpott-Quaker e.V. Kellen im Karneval 2017.

Die Stadtplanung in Kleve muss hier umdenken, die Anforderungen an die Stadt verändern sich hier rasant. Die Bandbreite an Bedarfen und Bedürfnissen, die „Stadt“ zu befriedigen hat, nimmt zu. Die Stadtentwicklung in Kleve sollte zum einen Anreize setzen, diese Neubürger in der Stadt zu halten, um auch aktiv einer immer älter werdenden Stadtgesellschaft entgegenzuwirken, muss aber zum anderen gleichzeitig mit der Unbekannten planen, wie viele Menschen tatsächlich diese Lebensentscheidung, in Kleve dauerhaft zu bleiben, für sich treffen.

Binnenwanderung

BaupläneAufgrund der Struktur des Kreises Kleve und der Region insgesamt ist nicht davon auszugehen, dass das Phänomen der Binnenwanderung, also die Wanderung von Menschen vom Land in die Stadt, in besonderem Maße zu berücksichtigen ist. Sehr wohl gibt es aber eine Binnenwanderung innerhalb der Stadt Kleve, die im Moment schon spürbar ist, sich aber in Zukunft noch verstärken wird. Die ältere Generation wird zunehmend bestrebt sein, zentraler zu wohnen, ohne dabei Qualitätsansprüche aufgeben zu wollen. Der Verkauf des seit 40 Jahren bewohnten Einfamilienhauses mit großem Grundstück in den Randlagen der Stadt zu Gunsten des Erwerbs einer hochwertigen Eigentumswohnung in zentralerer Lage, vielleicht sogar in Solidargemeinschaften, wird die Stadtplanung in den nächsten Jahrzehnten vor neue Herausforderungen stellen, welche in den Planungen der Gegenwart schon zu berücksichtigen sind. Gerade im Innenstadtbereich wird Kleve in den nächsten Jahren sein Bild verändern. Die Verdichtung wird zunehmen, die Gebäude werden größer und vor allem auch höher werden.

Räumliche Segregation

Segregation ist nichts anderes als die räumliche Abbildung sozialer Ungleichheit in einer Gesellschaft. Alle Bewohner einer Stadt kennen das Phänomen, dass sich soziale Gruppen unterschiedlich auf Wohnstandorte verteilen. Die Qualität des Wohnstandortes korrespondiert häufig mit dem sozialen Status der Gruppe. Je stärker sich also  die sozialen Ungleichgewichte in der Gesellschaft entwickeln, umso stärker zeigt sich das Phänomen der räumlichen Segregation. Da dies ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, kann davon ausgegangen werden, dass dieses Phänomen auch in Kleve zukünftig vermehrt auftreten wird. Hier ist Stadtplanung angehalten Wohnquartiere zu schaffen, die von vornherein eine nachhaltige soziale Mischung ermöglichen. Andersartigen Tendenzen ist entgegenzuwirken. Kleve im Jahre 2050 wird sein äußeres Erscheinungsbild stark verändert haben. Nicht mehr großflächige Einfamilienhausgebiete sind opportun sondern die Quartiersbildung wird das Stadtbild von innen heraus zunehmend bestimmen. Hier stehen Einfamilienhäuser neben Mehrfamilienhäusern, Mehrgenerationenhäuser neben sozial gefördertem Mietwohnungsbau. Zudem finden sich in diesen Quartieren zunehmend gewerbliche Nutzungen, die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit wird verschwimmen. In diesen Zellen wird der Keim gepflanzt für weitere Innovationen im Bereich Wohnen und Arbeit. Hierdurch kann auch einem anderen Phänomen, nämlich der Gentrifizierung, entgegengewirkt werden.

Gentrifizierung

Gentrifizierungsprozesse laufen häufig nach typischen Mustern ab. Wegen der niedrigen Mietpreise werden bestimmte Quartiere für „Pioniere“ (Studierende, Künstler, Kreative, Alternativkulturen etc.) attraktiv. Diese werten in einem ersten Schritt die Stadtteile auf und setzen einen Segregationsprozess in Gang. Aus Studenten werden gut verdienende Arbeitnehmer, die deutlich mehr verdienen als die ansässigen Bewohner. Eine neue und junge Kultur etabliert sich und bringt Kapital in die Quartiere. Investoren sehen Chancen zur Wertsteigerung. Erste Häuser und Wohnungen werden saniert oder restauriert, Szene-Clubs, alternative Restaurants und Kneipen entstehen. Die Mieten steigen. Alteingesessene werden u. a. durch Mieterhöhungen vertrieben. Neu Eingewanderte, Studierende oder Künstler und Kreative können sich die höheren Mietpreise oft nicht leisten und siedeln sich in anderen Quartieren an. Eine neue, wohlhabendere Klientel rückt nach und setzt andere Lebensstandards durch. Immobilienunternehmen entdecken ihr Interesse und sanieren weitere Häuser luxuriös. Die ursprüngliche Bevölkerungsstruktur und der Charakter der Viertel wandeln sich. Die Gentrifizierung geht einher mit einem allgemeinen Segregationsprozess. In Kleve im Jahr 2050 werden sie manche Straßenzüge, insbesondere im innenstadtnahen Bereich, nicht wiedererkennen, da genau dieses Phänomen dafür gesorgt hat, dass ehemals vernachlässigte Quartiere qualitativ aufgewertet worden sind mit dem Ergebnis, dass die bisherigen Bewohner verdrängt worden sind.

Altersarmut

Von diesen beiden gerade beschriebenen Phänomenen der Gentrifizierung und der räumlichen Segregation können insbesondere auch ältere Menschen betroffen sein, deren Renten in Zukunft auf einem deutlich niedrigeren Niveau angesiedelt sein werden als dies in der Gegenwart der Fall ist. Diesem gesellschaftlichen Problem kann Stadtplanung nur insofern begegnen, als das rechtzeitig in den Quartieren Wohnraum bereitgestellt wird, der auch für Geringverdienende bezahlbar bleibt. Und sollte ein Umzug aus Altersgründen oder aus einer finanziellen Not heraus unumgänglich sein, so sollte sichergestellt werden, dass die betroffenen Personen zumindest in ihrem gewohnten Quartier verbleiben können. Soziale Mischung ist auch hier die nachhaltige Antwort auf dieses gesellschaftliche Problem.

Diversifizierung - Veränderungen der Lebensweisen und Lebensstile

Diversifizierung (auch Diversikation) bezeichnet grundsätzlich die Ausweitung von Wahlmöglichkeiten. Die zunehmende Individualisierung und Toleranz in unserer Gesellschaft, die dem einzelnen weitgehende Möglichkeiten einer frei bestimmbaren Lebensgestaltung ermöglichen, führen zu einem immer größer werdenden Spektrum an Lebensweisen und Lebensformen die Raum suchen, und denen aus städtebaulicher Sicht auch Raum gegeben werden muss. Insbesondere Städte bieten hier, aufgrund der infrastrukturellen Voraussetzungen, einen guten Nährboden für Kreativität auch in der individuellen Lebensführung. Gerade in größeren Städten kann sich jeder, ohne große Einschränkungen in der Lebensqualität hinnehmen zu müssen, frei entfalten, da er im Zweifelsfall Gleichgesinnte finden wird. Kleve wird sich darauf einstellen, dass die junge Generation neue Ideen und neue Wege für die Ausgestaltung ihrer Lebensweise einfordern wird. So wird der öffentliche Raum zunehmend zum Erlebnisraum werden, der dem Ausleben von Kreativität und Gemeinschaft dienen muss. Mitunter können dies auch sehr temporäre Phänomene, wie zuletzt Pokémon Go oder auch Trendsportarten wie z.B. Parcours sein, die vorwiegend im öffentlichen Raum ausgeübt werden, ohne dass dafür eine spezielle Infrastruktur hergestellt werden müsste. Immer mehr Menschen verzichten auf das Auto oder suchen das Wohnen in der Gemeinschaft, auch um Wohnen und Arbeiten miteinander zu kombinieren. Die Anzahl der Lebensmodelle wird sich vervielfachen.

Zunehmende Konkurrenz zwischen den Städten, den Regionen und den Ländern

Trotz immer wieder anderslautender Beteuerungen, das Kirchturmdenken zwischen den einzelnen Kommunen weitestgehend zu vermeiden und stattdessen auf Kooperationen zu setzen, auch um Synergien nutzen zu können, wird sich die Konkurrenz zwischen den kreisangehörigen Städten in Zukunft verstärken. Zwar wird es in Bezug auf Einzelthemen, etwa die Reaktivierung der Bahnstrecke, durchaus gemeinsame Interessen geben, aber bei der Schaffung von Anreizen für die Ansiedlung von Gewerbebetrieben oder auch der Generierung von Neubürgern wird sich das Konkurrenzdenken aufgrund immer knapper werdender finanzieller Ressourcen verschärfen. Auch die Niederlande werden über kurz oder lang darauf reagieren müssen, dass ein großer Teil der Bevölkerung seine Einkäufe in Deutschland tätigt. Inwieweit Kleve bei Wegbleiben der niederländischen Kunden seinen Status als Einkaufsstadt wird halten können, bleibt abzuwarten. Die Weiterentwicklung eines attraktiven und bedarfsorientierten Angebots im Einzelhandel ist eine der wichtigen Prämissen. Hierbei sollte sich Stadtentwicklung weder von kurzfristigen Phänomenen leiten lassen noch sich lediglich im Bewahren des Ist-Zustands verlieren. Nachhaltigkeit heißt, sich notwendigen Anpassungen an das Einkaufsverhalten der zukünftigen Generationen, die Shoppen zunehmend als Freizeitbeschäftigung und Event betrachten, nicht zu verschließen, ohne die bisherigen Werte aufzugeben.

Sicherung und Stärkung der Integration und Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen

Partizipationsprozesse werden bei der zukünftigen Stadtentwicklung in vielen Bereichen weiter intensiviert werden. Planungs- und Entscheidungsprozesse, insbesondere in den Bereichen Bildung (Schulen), Stadtplanung oder auch Kultur, werden zukünftig ohne die aktive Beteiligung der Bürger nicht mehr umsetzbar sein. Die Stadtplanung der Zukunft wird zukünftig auch durch Moderationen geprägt sein. Nicht immer die fachlich beste Lösung wird umgesetzt sondern diejenige, die konsensfähig ist. Eine große Aufgabe wird es sein, die mit dem Bürger erarbeiteten Einzelvorhaben in einen Gesamtzusammenhang zu bringen. Die Stärkung und Förderung von Beteiligungskultur und -optionen einer selbstbewussten Zivilgesellschaft stellt eine verfahrenstechnische Herausforderung von Stadtplanung und Stadtentwicklung dar

Wirtschaftsstrukturelle Veränderungen im Zuge der Globalisierung / Internationalisierung

Die Veränderung der Wirtschaftsstruktur ist eine dauerhafte Herausforderung. Im Entwicklungsprozess der Wirtschaft nimmt die Bedeutung des primären Sektors(Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau) im Laufe der Zeit stetig weiter ab, der sekundäre Sektor (Rohstoffbe- und verarbeitung, (z.B. Energiegewinnung, Bauwesen, Handwerk und Heimarbeit) und der tertiäre Sektor (Dienstleistungssektor) nehmen an Bedeutung zu, wobei schließlich der tertiäre Sektor den Industriebereich überflügelt (Drei-Sektoren-Hypothese). Diese Hypothese weicht zunehmend der Theorie, dass sich gegenwärtig der sogenannte quartäre Sektor (Teil von Dienstleistungen, zu dem vor allem höherwertige Tätigkeiten mit spezialisierten Kenntnissen der Beschäftigten zählen) zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Was heißt das für die Stadt Kleve im Jahr 2050? Die Stadt und ihr Umland werden sich gewandelt haben. Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind deutlich rückläufig. Die Nahrungsmittelproduktion wird zum einen globalisierter abgewickelt, zum anderen wird sich hier ein Trend zur privaten und sehr kleinteiligen Produktion entwickeln. Rohstoffabbau (Kies, Sand, Ton) wird es in Kleve nicht mehr geben. Die Flächen werden stattdessen dem Naturschutz zur Verfügung gestellt einhergehend mit einer extensiven Freizeitnutzung. Auch die Forstwirtschaft wird zunehmend zurückgedrängt, die Waldflächen werden aber als Freizeit- und Naturflächen weiterhin Bestand haben. Industriebetriebe werden sich in Kleve kaum noch ansiedeln. Stattdessen werden wir spezialisierte Gewerbebetriebe finden, die aufgrund der Digitalisierung relativ unabhängig vom Standort global agieren können. Die Hochschule wird hier ein spürbarer Motor sein. Die Innenstadt zeichnet sich im Jahre 2050 durch eine große Vielfalt an Dienstleistungsunternehmen und Einzelhandelsgeschäften aus, die sich zunehmend auf spezialisierte Nischen konzentrieren werden, um den nach wir von den Kunden geschätzten Einkaufszentren in den Randbereichen von Kleve sowie dem zunehmenden Internethandel entgegen treten zu können. Die Innenstadt ist lebendig, da Arbeiten, Wohnen, Einkaufen und Freizeitgestaltung zunehmend miteinander verschmelzen. Insbesondere der quartäre Sektor wird an Bedeutung gewinnen und hierzu einen großen Beitrag leisten, ohne großartig Raum in Anspruch nehmen zu müssen. Die Kreativität in der Innenstadt wird sich deutlich verstärken.

Klimaschutz und Klimafolgenbewältigung - Energiewende

Klimaschutz und KlimafolgenUnterschieden wird zwischen vorbeugenden Maßnahmen zum Klimaschutz und der Bekämpfung der Folgen des bereits laufenden Klimawandels. Beides sind Aufgaben, die auch die Stadt Kleve in die Pflicht nehmen. Die Energiewende wird auch in Kleve im Jahr 2050 ihre Spuren hinterlassen haben. Windenergieanlagen stehen auf ehemaligen Brach- oder landwirtschaftlich genutzten Flächen, Landwirte produzieren immer weniger Nahrungsmittel, dafür immer mehr Rohstoffe zur Erzeugung von Biogas. Ein erstes Solarkraftwerk könnte in Kleve gebaut worden sein. Insgesamt zeigt sich im Stadtbild die zunehmende Dezentralisierung der Energieproduktion. Immer mehr Gebäude dienen neben dem Wohnen auch der Energieerzeugung, und das nicht nur für den Eigenbedarf. Größere Einheiten, oder auch weite Teile des Gebäudebestands, werden dezentral über Blockheizkraftwerke bzw. Folgetechniken versorgt. Die Elektromobilität wird in den Vordergrund treten. Zudem wird Kleve „grüner“. Als Maßnahme der Klimafolgenbewältigung wird die Zunahme von Stadtgrün in Form von Fassaden- und Dachbegrünungen sowie die Entsiegelung von Flächen augenscheinlich im Stadtgebiet sein. Wasser als Temperaturkühler wird insbesondere im Innenstadtbereich ein auch gestalterisch hochwertiges Instrument der Temperaturregulierung werden.

Flächeneffizienz / Flächenverbrauch

Eine Ressource, die bis in die jüngste Vergangenheit schier als unendlich betrachtet worden ist, wird im Jahre 2050 auch in Kleve ein knappes Gut sein. Grund und Boden ist nicht vermehrbar, zumindest nicht in der Fläche. Der Streit um Freiflächen wird an Schärfe gewinnen. Die Stadt Kleve wird sich im Jahr 2050, insbesondere in den städtischen Ortsteilen und in der Kernstadt, deutlich verdichtet zeigen. Immer mehr Menschen auf immer kleineren Flächen mit immer mehr Nutzungen. Auffällig wird sein, dass jeder Quadratmeter Fläche sinnvoll genutzt wird. Sei es durch Wohnen oder sei es zur Lebensmittelproduktion, Kinderspiel oder zur Pflege sozialer Kontakte. Die Gebäude werden in die Höhe wachsen müssen, um weitere Flächenressourcen aktivieren zu können, Nischen werden besetzt, Brachen einer Nutzung zugeführt, monofunktionale Flächen werden die Ausnahme sein. So dienen z.B. heute monotone Flachdächer zukünftig nicht nur dem Schutz von Gebäuden, sie sind auch gleichzeitig ein Ort für die kleinflächige Lebensmittelproduktion, sind Flächen für Veranstaltungen und Geselligkeit, ökologischer Trittstein, bieten Raum zur Erzeugung regenerativer Energie oder sind einfach privater Rückzugsraum.  Unter- oder fehlgenutzte Räume sind die Nutzflächen der Zukunft.

Urbane Ökosysteme unter Druck

Diese innerstädtischen Verdichtungstendenzen werden die Stadt Kleve als Ökosystem verändern. Unbeplanter Lebensraum, auf dem sich Natur ausbreiten kann, wird innerstädtisch kaum noch vorhanden sein. Umso wichtiger ist es, die im Umland erstarkten Naturräume an die Städte heranzuführen und mit den von Menschen geschaffenen Grünstrukturen genau zu planen und miteinander zu vernetzen.

Anpassung an technologische Entwicklungen

Die technologische Entwicklung vollzieht sich in immer kürzeren Zeiträumen. Bis zum Jahre 2050 wird dies die Stadt Kleve stark verändert haben. Zwei Beispiele seien hier dargestellt, die für die Stadtentwicklung von nachhaltiger Bedeutung sein werden.

Elektroverkehr:

Die Mobilität wird zunehmend elektrifiziert, immer mehr strombetriebene Fahrzeuge werden unsere Stadt erobern. Neben den herkömmlichen PKWs wird diese Entwicklung vor allem im Bereich der Nahmobilität eine große Rolle spielen. Sieht man heute schon viele E-Bikes im Stadtbild, so werden im Jahre 2050 weitere strombetriebene Fahrzeuge hinzukommen. Völlig andere Fahrzeugtypen werden sich im Jahr 2050 auf unseren Verkehrswegen tummeln. Die Straßen werden anders aussehen, da bislang nicht vorgesehene und sehr individuell ausgerichtete Fortbewegungsmöglichkeiten hinzugekommen sein werden. Bereits heute gebräuchlich sind elektrische Rollstühle aber auch Einpersonenkabinenroller und ähnliche Systeme. Segways, Seatless, Elektroroller und Systeme, die man sich heute noch gar nicht vorstellen kann, werden vehement ihren Platz im Straßenraum suchen. Der Umbau des Verkehrsnetzes wird eine der größten baulichen Herausforderungen. Das Straßenbild in Kleve im Jahr 2050 wird sich erheblich von dem unterscheiden, wie es sich heute darstellt, vor allem wird es viel ruhiger und durchmischter in den Straßen sein. Die Zukunft liegt aber nicht nur in der Elektrifizierung der Fahrzeuge, sondern in fahrerlosen Autos, die gleichzeitig geräuscharm und sauber sind. In Kleve könnte es im Jahre 2050 die erste Straße mit intelligentem Straßenbelag mit programmierbaren Sensoren geben. Diese Technik hilft, autonome Wagen zu lenken. Zugleich wandelt sich die Fläche je nach Bedarf - etwa durch Farbänderung - von einer Autospur zum Fußgängerweg.

Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK) - Smart City

Open Data, geöffnetes SchlossIm Jahre 2050 wird die Digitalisierung die Stadt Kleve vollständig erobert haben. Smart City Kleve…Digitalisierung ist überall und prägt unser ganzes Leben, unsere Kommunikation, unseren Alltag, unsere Berufswelt. Immer neue Online-Anbieter verdrängen traditionelle Geschäftsmodelle und StartUps wie Airbnb oder WhatsAPP werden innerhalb weniger Jahre Global Player. Die Bürger fordern zunehmend eine digitale Form eines bislang analog stattfindenden Prozesses. Sei es der Online-Einkauf, Online-Service-Leistungen der Verwaltung oder die digitale Informationstechnologie. Intelligente Strom- und Wassernetze stimmen Verbrauch und Angebot optimal aufeinander ab und Gebäude versorgen und kontrollieren sich zunehmend selbständig. Die Klever werden mehr Zeit für sich haben. Die spannende Frage ist, wie die Menschen dieses Mehr an Zeit nutzen und wie sich dies auf die baulichen, infrastrukturellen aber auch kulturellen und sozialen Aspekte auswirken wird.

Finanzierung des Stadtumbaus

Und über all diesen notwendigen Anpassungen hängt das Damoklesschwert einer notwendigen Finanzierung dieses Stadtumbauprozesses. In Zeiten kommunaler Finanzkrisen allerorten wird sich die Finanzierung dieser historischen Entwicklung bis zum Jahre 2050 komplett gewandelt haben müssen. Diese Anpassungsprozesse müssen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden und nicht den einzelnen Kommunen, je nach finanziellen Möglichkeiten, überlassen bleiben.

Aber auch das wird Kleve im Jahr 2050 sein

Je stärker sich Kleve in die eben beschriebene Richtung entwickeln wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Gegenbewegung etablieren wird, die dem vermeintlichen und hier skizzierten „Fortschritt“ eine andere Form von Dasein entgegensetzen möchte. Deutlich größer wird aber die Zahl derer sein, die die neuen Möglichkeiten durchaus nutzen und Ihnen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt sind, aber gleichzeitig die Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit, der Direktheit und dem Analogen leben möchten. Wer hätte gedacht, dass das Buch, nachdem das E-Book erschienen ist, sich so wacker hält? Und wer hätte gedacht, dass die gute alte Schallplatte, heute heißt sie Vinyl, so eine Renaissance erleben würde. Heutzutage ist es völlig normal, dass man, neben DVD-Player, Blu-Ray-Systemen und Internet-Streaming auch wieder den guten alten Plattenspieler im Wohnzimmer stehen hat, weil er doch vermeintlich so viel „besser“ geklungen hat. Wir alle wissen, dem ist nicht so, aber es gibt uns ein warmes und gutes Gefühl.

Und diese Bewegung wird von gesellschaftlicher Relevanz sein. Menschen, die dem zunehmenden Online-Handel Tauschbörsen zur Seite stellen, die Dinge in Repair-Cafes in geselliger Runde reparieren und dabei ganz reale Kontakte pflegen, anstatt sich nur noch virtuell zu unterhalten, die sich zum Handarbeiten treffen oder Musik und Kunst selbst produzieren, anstatt nur in virtuellen Museumsrundgängen oder Konzertbesuchen zu konsumieren. Auf Dauer wird es nicht funktionieren, nur noch über optische und akustische Reize unseren Nerv zu treffen. Wir wollen auch fühlen, riechen, schmecken, wollen reale Gesellschaft und echte Erfahrungen.

Der zunehmenden Individualisierung und der damit einhergehenden Anonymisierung und der daraus resultierenden Vereinsamung wird eine Wiederbelebung des Konzeptes von Nachbarschaft bzw. regionaler Solidargemeinschaft entgegengesetzt. Regionalität und räumliche Nähe sowie die Verzahnung unterschiedlicher Nutzungsfunktionen können auch in der Stadt das Bedürfnis des Menschen nach sozialen Kontakten erfüllen, die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen in der Stadt unterstützen und gleichzeitig sinnstiftend sein. Das Ehrenamt wird einen Boom erfahren, viele Menschen werden sich engagieren, da die neue Zeit auch viele gravierende soziale Nachteile mit sich bringen wird.

Mit der zunehmenden Digitalisierung bietet sich in Kleve des Jahres 2050 die Chance für Teile der Bevölkerung, wieder eine stärkere räumliche Konzentration von Wohnen und Arbeit zu leben. Angebote für Telearbeit und Home-Office sind in vielen Berufen bereits verbreitet. Kreativzellen in den Quartieren werden entstehen, in denen unabhängig arbeitende Menschen Synergien nutzen und „gemeinsam“ in den unterschiedlichsten Berufen arbeiten, um Arbeit und Wohnen eben wieder bewusst zu trennen, ohne dafür aber weite Wege in Kauf nehmen zu müssen.

Und auch im nicht-digitalen Berufsleben wird die Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten zunehmend aufbrechen. Immer mehr kleine Handwerker, Künstler oder Dienstleister werden in den derzeit sehr monoton anmutenden Wohngebieten ihre berufliche Nische finden und versuchen, Arbeitswelt und Privatleben zu harmonisieren, anstatt diese beiden Daseinsformen als getrennte Einheiten zu betrachten.

Der industrialisierten und digitalisierten Lebensmittelproduktion, der zunehmenden Entfernung eines Lebensmittels von seiner Natürlichkeit, werden Menschen Dachgärten zur kollektiven Nahrungsmittelproduktion entgegensetzen, auch dank der Tatsache, dass die Menschen mehr Zeit haben. Derzeit erfreut sich in Städten das gemeinschaftliche Imkern großer Beliebtheit. Tomaten statt Tulpen, im Kleve des Jahres 2050 könnte das Stadtwappen statt aus Sommerblumen aus Tomaten und Gurken bestehen. Menschen in Kleve entwickeln in einem Hinterhof an der Kavariner Straße Konzepte, wie Mini-Gemüse und Kräuter auf kleinstem Raum, oder sogar in den Gebäuden selbst, angebaut werden können. Und das Modell funktioniert, dank moderner Technik, ohne Erde - mit Licht, Luft und Wasser.

Das Bargeld wird im Kleve des Jahres 2050 abgeschafft sein. Aber es wird Menschen geben, die sich nicht des bargeldlosen Zahlungsverkehrs bedingungslos unterordnen. Es wird eine Schattenwirtschaft entstehen, in der Waren und Dienstleistungen getauscht oder verliehen werden. Wiederverwendung, Second-Hand, Upcycling, Recycling, all dies wird in zunehmendem Maße auch ein Trend in Kleve im Jahr 2050 sein. Und zwar zunehmend auch bei Menschen, die sich anderes leisten könnten. DIY (Do-it-yourself) nicht nur unkreativ am 3D-Drucker, nein, auch analog in der Hinterhofwerkstatt gemeinsam mit Freunden und Nachbarn, ganz analog. Do-it-yourself ist zunehmend angesagt auch im Bereich Stadtleben. Menschen bauen Bouleplätze oder stellen Sitzbänke in Spielstraßen auf. Anwohner werden in ihrem Lebensumfeld selbst aktiv und übernehmen Verantwortung für den Platz vor der eigenen Haustür. So steigt die Identifikation mit dem Ort, der eigenen Straße, dem Baum vor dem Haus, dem ganzen Quartier. Und Identifikation ist ein gutes Mittel gegen Vandalismus, Vereinsamung und Verwahrlosung. Der Gedanke des Teilens (sharing) ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Nicht mehr der einzelne muss alles besitzen, ich muss nur schauen, mit wem ich was teilen kann und bei wem ich mir was ausleihen kann. Car-Sharing oder auch das Teilen von Wohnraum sind nur einige schon heute bekannte Beispiele.

Zusammenfassend könnte man es so formulieren. Die Menschen wollen zum einen die Nähe zu hochmoderner Technik und Fortschritt, sie wollen aber auch die Kleinteiligkeit des Dorfes in der Stadt wiederfinden. Man könnte das auch das Neo-Biedermeier der Städte nennen. In diesem Zusammenhang würde ich weniger von einer Polarisierung sprechen wollen als vielmehr von einer Pluralisierung. Immer mehr Möglichkeiten eröffnen immer mehr Wege, die man beschreiten kann. Die nachhaltige Stadtentwicklung, und damit auch die Stadt Kleve, haben sich der Herausforderung gestellt, die Stadtentwicklung auf ein sozial und ökologisch ausgewogenes Verhältnis zwischen Mensch und gebauter Umwelt auszurichten. Nur dort, wo sich Menschen wohl und sicher fühlen, sind sie auch gerne zu Hause. Es ist das oberste Gebot, einen energetisch ausbalancierten Lebensraum „Stadt“ zu schaffen, der gleichzeitig die sozialen Bedürfnisse der Menschen ebenso wie die ökonomischen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Alle Einzelmaßnahmen, egal ob infrastrukturell, gebäudetechnisch, verkehrsbezogen, energetisch, ökologisch oder sozial indiziert, dürfen sich gegenseitig weder ausschließen noch nachhaltig negativ beeinflussen.

In diesem Zusammenhang wird dem öffentlichen Raum eine immer stärker werdende Bedeutung zukommen. Die Sehnsucht des Menschen nach Öffentlichkeit, nach realen Begegnungen und gemeinsamen Erlebnissen wird stark anwachsen. Aufgabe der Stadt Kleve wird es sein, hierfür adäquaten Raum und entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Denn auch hier wird es einen starken Gegenstrom zur zunehmenden Verhäuslichung  und Individualisierung geben. Und auch wenn Autofahren komfortabler, sicherer und bequemer wird, immer mehr Menschen werden alternative Fortbewegungsmittel für sich entdecken, und seien es die eigenen Beine…

Resümee

Wie sieht also die Zukunft für die Stadt Kleve aus? Ich kann Sie beruhigen. Nach menschlichem Ermessen können wir davon ausgehen, dass die Stadt Kleve noch so manches Jubiläum voller Freude und Optimismus feiern kann, denn die Voraussetzungen sind gut. Es liegt größtenteils in unserer Hand, den Händen der Bürger und Bürgerinnen, der Planer und der Entscheidungsträger, wie sich Kleve entwickeln wird.

Und nun, liebe Leser dieses kleinen Aufsatzes zur Zukunft der Stadt Kleve, die diesen Text in 20 oder 30 Jahren lesen… Wie sieht Kleve denn aus, im Jahre 2050? Stimmen die Voraussagen, oder ist alles doch ganz anders gekommen?

Dirk Posdena

Leiter des Fachbereiches „Bauen und Planen“ der Stadt Kleve

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